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30. Januar 2010

Afghanistan - Einsatz mit Scheuklappen

Der Westen sucht seine Katalaunischen Felder


Ein Thema, das zurzeit alle Gemüter bewegt und das ich auch ein wenig beleuchten möchte, ist der Afghanistan-Konflikt. Leider wird dieses Thema in Deutschland nicht mehr mit ausreichender Objektivität behandelt, da es zu einem Politikum in Verbindung mit einer innenpolitischen Debatte geworden ist. Jedes Thema, dass das Unglück ereilt zu einem Politikum heranzuwachsen, wird auf der politischen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene mit starken Emotionen verknüpft und von Interessensvertretern jeder Couleur nach Gutdünken aus seiner ursprünglichen, objektiven Verankerung herausgerissen, um zum Spielball der eigenen Ziele zu werden.
Doch Afghanistan ist mehr als ein für Wahlzwecke missbrauchbares Politikum. Es sind Leben und Hoffnungen eines ganzen Volkes sowie das Leben zahlreicher im Einsatz befindlicher Soldaten, die von der Art der Behandlung dieses Konfliktes unmittelbar abhängig sind. Wie ich außerdem im Folgenden darlegen werde, ist Afghanistan zum Scheideweg der westlichen Welt geworden. Der zentralasiatische Konflikt stellt sogar den letzten Irakkrieg als einen reinen Nebenkriegsschauplatz in den Schatten, wenn man ihn in seinen übergreifenden Zusammenhängen betrachtet. Auch eine mögliche Verschiebung der terroristischen Kernaktivitäten nach Jemen und in den Nahen Osten, wird diesen Konflikt als mögliche Büchse der Pandora nicht abzulösen vermögen.

Hier hat sich die westliche Welt das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts ausgesucht, an dem sie gemessen werden wird. Hier hat sie sich entschieden dem Gegner zu begegnen, den es als aktuell größte Bedrohung auf seine gesellschaftlichen Werte sieht: den fundamentalistischen, radikal-islamischen Terrorismus. Und sie hat sich aus den Versäumnissen des 20. Jahrhunderts heraus die geopolitischen Grundlagen geschaffen, diesem ideologischen Konflikt zahlreiche, über die ganze Welt verteilte Brandherde zu verschaffen, die er für sein Gedeihen benötigt: Zentral- und Westafrika, der Nahe Osten, Zentralasien (vereinzelt auch Südostasien). Zu diesen destabilisierenden Faktoren kommen desweiteren die geopolitischen Erben des Kalten Krieges in Südamerika und im Fernen Osten hinzu, namentlich Venezuela, China und Nord Korea.

Nun da der Schauplatz gewählt ist und wir als Mitglied der Allianz mitgefangen sind müssen wir uns auch der Möglichkeit stellen mit zu hängen. Hier gibt es, gemessen an unserer Stellung im internationalen Gefüge, keine großen politischen Alternativen. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir nur über die Rädchen der strategischen Alternativen die Sache zum vermeintlich Guten oder Schlechten mit verändern können. Aufgrund der inkonsistenten und inkonsequenten Politik der vergangenen als auch der aktuellen Regierung, die offenbar den systemischen und gesellschaftlichen Zwängen nicht zu entfliehen vermochten, ist uns selbst das Moment genommen, als Mediator und politischer Gestalter aufzutreten. Uns bleibt nunmehr ausschließlich die Rolle des Truppenstellers, der sich dazu entscheidet entweder am gewünschten Gesamterfolg mitzuwirken oder sich seinen Verpflichtungen zu entziehen.

Die nationale Verantwortung im internationalen Gefüge

Nun möchten die aktuellen Oppositionsparteien und weitere Gegner des Einsatzes, dass wir uns aus Afghanistan zurückziehen – geordnet oder ungeordnet, mit Abzugsfrist oder auch einfach sofort. Jedem Kind, das einen Scherbenhaufen angerichtet hat und noch während des Aufräumens den „Tatort“ verlässt, würden wir die Leviten lesen. Und es genügt in der jetzigen Situation nicht mit dem Finger auf die Vereinigten Staaten, als vermeintlichen Verursacher des Scherbenhaufens zu zeigen.

Es ist irrelevant, wer den Einsatz in Afghanistan begonnen hat oder aus welchen Gründen er begonnen wurde und nun von den involvierten Parteien weitergeführt wird. All diese Fragestellungen, die leider allzu häufig von innenpolitischen Debatten und Interessen geprägt oder zumindest berührt werden, lenken den Blick vom wesentlichen ab. Was allerdings noch gefährlicher ist: sie beeinflussen die Bevölkerung, in der zahlreiche Schichten und Gruppen dazu tendieren die einfachen Lösungen zu befürworten und die am lautesten gebrüllten Schlagworte aufzugreifen. Sie drohen den erforderlichen Rückhalt in der Gesellschaft, der in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bis zu einem gewissen Punkt mit einer kulturellen Selbstverständlichkeit gewährt wird, gänzlich zunichte zu machen. 

Die Fakten: Der Einsatz in Afghanistan wurde, in unmittelbarer Reaktion auf die Terrorangriffe auf die Twin Towers und das Pentagon durch al-Qaida am 11. September 2001, von den Vereinigten Staaten initiiert und von den nordatlantischen Alliierten sowie den Vereinten Nationen gebilligt und unterstützt. Wir haben uns als deutscher Staat zur direkten und materiellen Solidarität bereit erklärt. In der internationalen Wahrnehmung, und insbesondere der der Vereinigten Staaten, haben nicht Herr Schröder oder eine Rot-Grüne Regierung dies getan, sondern der, das deutsche Volk repräsentierende Staat.

In diesem Fall „Wortbruch“ zu begehen würde das Ansehen Deutschlands in der internationalen Gemeinschaft so stark beschädigen, dass es weitreichendere Konsequenzen für die Zukunft des Landes und des westlichen Organismus hätte, als sich die meisten vorstellen können. Viele Bürger möchten aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen nicht akzeptieren, dass wir Teil eines internationalen Gefüge sind, das in einer solchen Situation in der wir uns momentan befinden nur wenig Spielraum für nationale Befindlichkeiten zulässt.

Am Scheideweg … in Afghanistan

Wir werden uns in einigen Jahrzehnten an den 11. September als die größte Katastrophe der westlichen Welt zurückerinnern – selbstverständlich gesetzt den Fall, dass nicht noch schrecklichere Ereignisse auf uns warten. Ich sage dies auch nicht ohne Respekt gegenüber den unzähligen Toten der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean oder der aktuellen Katastrophe in Haiti. Dies waren jedoch Naturkatastrophen die wir als Menschen nicht beeinflussen können und die in Ihren sozialen und politischen Konsequenzen selten das regionale Umfeld überschreiten. Der 11. September könnte sich allerdings als das Anfangsdatum vom Ende der westlichen Dominanz in der Geschichte verankern. Er hat die aus dem Kalten Krieg als „gefühlter Sieger“ hervorgehenden Vereinigten Staaten in ihren Grundfesten erschüttert und einen Prozess in Gang gesetzt, der nun in Afghanistan, Pakistan, am Horn von Afrika und im Iran seine entscheidenden Impulse erhält und uns einem Scheideweg gegenüberstellt, der die Welt sprichwörtlich auf den Kopf stellen könnte.

Dies ist durchaus nicht lapidar daher gesagt. Die sogenannte westliche Zivilisation scheint an diesem, heutigen Punkt der Geschichte zu kulminieren, wie es auch das Römische Reich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung und seines stärksten geistigen Einflusses erfahren hat. Es ist eine Entwicklung die, historisch gesehen, nach der Selbstfindung europäischer Mächte und Machtgebilde im Mittelalter, mit der Phase begann, in der westeuropäische Nationen die Finger und später ganze Hände nach neuen Gebieten über den ganzen Globus ausstreckten. Portugal, Spanien und das britische Königreich – nebst anderen zunächst weniger bedeutenden Kolonialmächten – formten die moderne, internationale Welt aus dem gröberen Ton vermeintlich weniger weit entwickelter Völker und Kulturen. Auf dieser, für die Weltgeschichte durchaus als traumatisch zu bezeichnenden Entwicklung und endgültigen Dominanzgewinnung der westlichen Welt, fußt zu einem großen Teil das, was uns nun in Afghanistan und an vielen anderen Krisenherden der Welt heutzutage begegnet.

Nun haben sich nicht die Briten, als ein Land das bereits seine Erfahrungen am Chaiber-Pass gemacht hat, sondern die Vereinigten Staaten federführend das Erbe dieser Zeit aufgeladen, indem sie sich, zunächst zur Gewährleistung der eignen nationalen Sicherheit, in diesem konfliktträchtigen Landstrich militärisch eingelassen haben. Als Alliierte der Vereinigten Staaten und Teil der westlichen Welt waren wir nicht in der Position, uns dem moralisch vertretbar zu entziehen. Das aus dem militärischen Blitz-Einsatz gegen die al-Qaida ein völkerrechtlich nahezu als Krieg zu bezeichnender Kampf gegen die Taliban geworden ist, hat diese Unternehmung des Westens an den Rand des Machbaren gedrängt. Es ist vordergründlich ein Kampf für das afghanische Volk geworden. Aus diesem Grund muss man den zu kurz gegriffenen Ausruf „Unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“ ablehnen. Die Gewährleistung unserer nationalen Sicherheit wird angesichts der dezentralen und asymmetrischen Bedrohung nicht an einzelnen geographischen Schauplätzen verteidigt. Dies ist eine globalere Aufgabe, die sich vielmehr an der bedauernswerten wirtschaftlichen Situation der Dritten Welt, der globalisierten, organisierten Kriminalität und der wachsenden religiösen Polarisierung orientiert.

Die Aufgabe, die uns nun in Afghanistan gestellt wurde (ungeachtet der Vorgeschichte), ist es das was wir begonnen haben positiv zu beenden. Das sind wir der afghanischen Bevölkerung schuldig. Auch Deutschland ist dazu verpflichtet, denn es hat 2001 das Heft aufgenommen und kann es nun nicht im in Kunduz aufgewirbelten Staub einfach fallen lassen. Wir würden durch einen übereilten Abzug das Land einem grausamen Bürgerkrieg mit anschließender zweifelhafter Herrschaft überlassen. In unserer globalisierten Welt mit den moralischen Ansprüchen die unsere westliche Welt für sich selbst erhebt, können solche Zustände nicht ignoriert werden.

Darüber hinausgehend auch noch einen Zeitpunkt für den Abzug zu nennen ist verantwortungslos, da er 1) in der Regel nicht eingehalten werden kann und vollkommen willkürlich gewählt ist und 2) nur in verantwortungsvoller Übergabe geschehen kann – ein Punkt von dem wir noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt liegen. Was sich leider landläufige durchgesetzt hat, ist das Missverständnis über den vermeintlich von Barack Obama angekündigten Abzugstermin. Bei dem auf Juli 2011 festgelegten Datum handelte es sich nie um einen Abzugstermin. Tatsächlich ging es darum der amerikanischen Bevölkerung einen Endpunkt des nun begonnenen militärischen Vorstoßes aufzuweisen. Dies bedeutet, dass das genannte Datum den Abzug der nun nach Afghanistan strömenden zusätzlichen Truppen darstellt – auch in jenem Hinblick verständlich, dass es unglaublich teuer wäre die nunmehr 100.000 US-Soldaten im Auslandseinsatz einschließlich des erforderlichen Materials auf Dauer zu bezahlen. Es soll daher das zeitliche Ziel für eine erfolgreiche Normalisierung der zurzeit aus der Hand geratenen Situation sein und bildet in keiner Weise einen vorgesehenen Endpunkt des Einsatzes.

Nun orientieren sich deutsche Politiker an diesem Datum und glauben tatsächlich, ungeachtet der Gegebenheiten, das Ende des Einsatzes am Horizont zu erkennen und dies der mürbe werdenden öffentlichen Wahrnehmung aufweisen zu können, um den Erwartungsdruck auf die Politik zu verringern. Doch wir werden sehen, dass der militärische Kampfeinsatz noch mindestens ein halbes Jahrzehnt andauern wird, sofern sich nicht eine politische Lösung mit den Taliban finden lässt, deren Ansätze im Vorfeld der Afghanistankonferenz in London zu erkennen sind. Und auf erst auf das erfolgreiche Ende eines solchen Kampfeinsatz kann ein Jahrzehnte langer Aufbaueinsatz in relativ sicherem Umfeld folgen.

Unnötige Versäumnisse

Zum Vorgehen der Alliierten in Afghanistan kann man im Einzelnen selbstverständlich unterschiedlicher Meinung sein. Durch zahlreiche Versäumnisse haben die Alliierten die Situation und die Initiative aus den Fingern gleiten lassen. Es ist immer einfach, im Nachhinein einen komplexen Faktoren unterliegenden Sachverhalt zu kritisieren. Aber eben aufgrund der Tatsache, dass wir solche Entwicklungen nur bedingt steuern bzw. vorauszuahnen können, ist es entscheidend, sich der Geschichte zu bedienen. Sie ermöglicht es 1) Zusammenhänge zu verstehen, auf denen heutige Situationen basieren und 2) vergleichbare Situationen in vergangenen Zeiten zu erkennen und sich der dort bereits gefundenen Lösungsansätze zu bedienen, indem man sie den heutigen Gegebenheiten anpasst.

In Afghanistan drängen sich geradezu die Vergleiche mit historischen Ereignissen auf – und dies beschränkt sich nicht nur auf Vietnam. Die Entscheidungsträger der Vereinigten Staaten (zivil wie militärisch) weigern sich jedoch bisher vehement einen Vergleich mit Vietnam zuzulassen. Selbstverständlich sind die politischen, geographischen, gesellschaftlichen und auch technischen Gegebenheiten grundlegend verschieden. Jedoch gibt es in einigen sehr wichtigen Bereichen verwandte Grundlagen, die es durchaus wert sind, betrachtet zu werden: das Taktische und das Zwischenmenschliche.

Taktisch liegt ein Gegner vor, der asymmetrisch und dezentral operiert. Dies mag in Vietnam in strategischer jedoch nicht in taktischer Hinsicht anders gewesen sein. Auf taktischer Ebene war die Lehre der US-Soldaten in Vietnam häufig die der Anpassung an den Gegner und seine Vorgehensweise. Die technische Überlegenheit war nur bis zu einem gewissen Punkt der symmetrischen Auseinandersetzung Erfolg bringend. Doch der nagende Guerillakrieg war der entscheidende Faktor, der auch einen siegessicheren Goliath in die Verzweiflung treiben konnte und zur traumatischen Erfahrung einer ganzen Generation der Vereinigten Staaten wurde als auch gesellschaftliche Auswirkungen in der ganzen westlichen Welt mit sich brachte. In Afghanistan müssen die Alliierten erneut die Initiative gewinnen und sich auf den Gegner einlassen. Die neue Strategie des US-Präsidenten ist ein erster Schritt, der allerdings nicht aus allein numerischen Gesichtspunkten den Erfolg bringen kann. Die vielbeschworenen „lessons learned“ müssen angewandt werden – auch die der vergangenen Konflikte.

Auch in Vietnam ging man als vermeintlicher Befreier und Heilsbringer in ein fremdes Land und wurde nach kurzer Zeit in der Bevölkerung als Besatzer und „Brandstifter“ wahrgenommen. Und genau auf diesem schmalen Grat bewegen sich zurzeit die Alliierten. Sie drohen auch den Kontakt zur Bevölkerung zu verlieren, der noch in einigen Teilen des Landes vorhanden ist. Noch kann die Situation gestaltet werden. Nicht die Regierung in Kabul muss gestärkt werden. Das Verhältnis der örtlichen Truppen zur Bevölkerung muss verbessert werden. Es muss ein dauerhafter und effektiver Schutz gewährleistet werden, der durch einen Parallel laufenden Wiederaufbau unterstützt wird. Nur wenn der Bevölkerung eine wirtschaftliche und soziale Perspektive gegeben wird, werden die Rekrutierungszahlen der Taliban und der terroristischen Gruppierungen sinken. Die aktuelle Wunschvorstellung der deutschen Politik, sich aufgrund innenpolitischen Drucks ausschließlich dem Wiederaufbau und der Ausbildung afghanischer Kräfte zu verschreiben, ignoriert die militärischen Gegebenheiten, die auch hoch-intensive Kampfhandlungen umfasst.

Regelmäßig werden deutsche Soldaten mit selbstgebauten Sprengsätzen als auch Panzerabwehrwaffen, sogenannte RPGs (rocket propelled grenades), angegriffen, die nur aufgrund der erhöhten Panzerung von Fahrzeugen im Einsatzland als auch aufgrund der bedingt professionellen Fähigkeiten des Gegners noch nicht zu höheren Verlusten auf deutscher Seite geführt haben. Allerdings liegen auch Berichte vor, dass die Taktik der Angreifer sich stetig verbessert und die Hinterhalte häufig gut durchdacht sind. Durch die negative Entwicklung der strategischen Gegebenheiten im Norden – bedingt durch veränderte Logistikwege, und den Rückzug der Taliban aus dem zu heiß gewordenen Süden in der Folge alliierter Offensiven – sehen sich die deutschen Soldaten nun seit Monaten einer verschärften Sicherheitslage ausgesetzt auf die sie schlichtweg nicht vorbereitet waren.

Die deutsche Führung hat es versäumt den unmittelbaren und dauerhaften Kontakt zur Bevölkerung im eigenen Verantwortungsbereich aufrecht zu erhalten, um den Taliban den Rückzug in diese bislang friedlicheren Gebiete zu erschweren. Diesen Fehler haben auch andere Nationen in verschiedenen Bereichen des Landes begangen. Es ist allerdings äußerst schwierig Soldaten eines seit über 60 Jahren friedensverwöhnten Landes auf einen solchen Gegner und solche Umstände vorzubereiten – von der untersten bis zur obersten Ebene. Die Länder, die die militärisch größeren Erfolge, bei gleichzeitig höherem Blutzoll, verzeichnen haben in den vergangenen Jahrzehnten an verschiedenen Fronten ihre Erfahrungen machen können, von denen sie nun profitieren können.

Die letzte Hoffnung der Bundesrepublik den Einsatz mit erhobenem Kopf beenden zu können ist ein Erfolg der neuen US-Strategie. Sollte diese Truppenaufstockung nicht die Initiative im Land zurückgewinnen und den Aufbauhelfern und Ausbildern ein relativ sicheres Umfeld für ihre Arbeit bietet, ist eine für Afghanistan zukunftsfähige Lösung kaum noch in Sicht. Und eine, wie von Präsident Karsai und der Bundesregierung angestrebte Übergabe der Verantwortung an die Afghanische Nationale Armee sowie die afghanischen Sicherheitskräfte bis 2014 steht, angesichts der mangelhaften Ausbildung, der noch viel zu geringen Personalstärke als auch der Behinderung durch fehlende Strukturen und florierende Korruption, auf sehr wackeligen Beinen. Diese ehrgeizige Planung kann nur mit Hilfe der 30.000 zusätzlichen US-Soldaten gestemmt werden. Diese hat Obama nicht für eine Intensivierung der Kampfhandlung sondern insbesondere für die Ausbildung der afghanischen Kräfte entsandt. Sie werden auch unter anderem im deutschen Verantwortungsbereich die Ausbildungsaktivitäten unter deutscher Führung verstärken.

Der Druck zum richtigen Handeln

Auch dank der Informationstechnologie, hat es wohl noch keine kriegsähnliche Situation in der Weltgeschichte gegeben, in der so detailliert und .vielfältig über die eigenen Bemühungen berichtet wird. Was im zweiten Golfkrieg unter George Bush Senior als eine mediale Revolution erachtet wurde, wird nun im Zeitalter der „Social Networks“ und der sekündlichen, multi-medialen Nachrichten-Aktualisierung bis zur Übersättigung betrieben. Die Nachrichtenfülle, insbesondere der Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, Kanadas und Australiens (Deutschland muss hier noch seine Hausaufgaben machen), sollte auch nicht zwingend als Propaganda sondern vielmehr als Segen betrachtet werden. Denn die Dinge die dort berichtet werden, geschehen in der Regel auch tatsächlich. Es liegt nicht nur am Wunsch der Regierungen die Informationen zu lenken, sondern es entwickelte sich aus dem Druck der Gesellschaft heraus, zu erfahren was passiert … Hauptsache etwas erfahren, nicht im unerträglichen Dunkel oder künstlich erzeugten Dunst verbleiben!

Wie man auch am Beispiel des Irans sehen kann, gelingt es Regierungen immer weniger ungeliebte Informationen nicht nach außen dringen zu lassen und alle Kommunikationswege zu kontrollieren. Vieles was früher nie aufgedeckt worden wäre kam über den einen oder anderen Weg zu Tage. Zahlreiche westliche Regierungen haben dies verstanden und sind dazu übergegangen dem allgemeinen Informationsdurst und medialen Druck durch mehr Transparenz und vor allem durch mehr Aktivität zu begegnen. Als Bevölkerung müssen wir diese Entwicklung als Chance begreifen, eine größere Kontrolle und einen größeren Druck zu verantwortungsvollem und richtigem Handeln auf die Regierungen auszuüben. Auf die Oppositionsbewegung im Iran anspielend, ist im Internet nun schon die Frage aufgetaucht, ob Twitter Regime stürzen könne. Im Fall von Afghanistan und den US-Aktionen im Grenzgebiet zu Pakistan ist die mediale Transparenz ebenfalls ein wichtiges Steuerungsinstrument.

Der Druck auf die Vereinigten Staaten, aufgrund ständiger Berichte über zahlreiche zivile Opfer bei Angriffen auf Aufständische mithilfe unbemannter Flugzeuge, wächst stetig – nicht nur durch die pakistanische Regierung. Es kann nur gehofft werden, dass die Vereinigten Staaten, wenn nicht aus eigener Einsicht so zumindest durch diesen Druck, diese kontraproduktiven Angriffe einstellen und auch hier ihre Strategie überdenken. Angeblich wurde auf der Afghanistan-Konferenz in London beschlossen stärker auf die Vermeidung ziviler Opfer zu achten. Die Vereinigten Staaten hätten schon aufgrund des gesunden Menschenverstands und der Warnungen zahlreicher Experten vor den negativen Auswirkungen dieser Angriffe hören sollen. Es ist nur verständlich dass zivile Opfer den Rekrutierungsbemühungen der Taliban und der terroristischen Gruppen in die Hände spielen und die Bevölkerung, die besonders in den abgelegenen paschtunischen Gebieten der Grenzregion von elementarer Bedeutung im Kampf gegen der Terror sind, sich gegen die Alliierten als auch gegen die pakistanische Regierung stellen.

Der Islam ist eine Möglichkeit, kein neuer Gegenpol

Nun stemmt sich der Westen nach dem Versuch der Überwindung des Kommunismus im späten 20. Jahrhundert gegen den neuen ideologischen Opponenten des 21. Jahrhunderts: den Islamismus. Was nicht unbedingt zum Kampf gegen den Kommunismus erforderlich war, nämlich diesen und seine ideologischen Ausprägungen und sozio-kulturellen Einflüsse zu verstehen, ist beim Islamismus unerlässlich. Allerdings ist der Versuch des Verständnisses und des daran anschließenden Dialogs nicht am Islamismus anzusetzen, sondern am Islam selber.

Angesichts der wachsenden fundamentalistischen Tendenzen in Reaktion auf ein wirtschaftliches und ideologisches Gefälle zwischen den Industrienationen und der Dritte Welt, ist eine Stärkung des moderaten Islams, in der im Ansatz aufklärerischen Tradition der islamischen Gelehrten des Mittelalters, von besonderer Wichtigkeit. Der Islam verfügt in seinen Grundprinzipien über ein außerordentliches Potential, trifft er auf liberale Geister. Dies, ebenso wie ein für die historischen Verhältnisse friedliches und fruchtbares Zusammenleben der Kulturen und Religionen, hat die Geschichte mannigfaltig bewiesen.

Soziale und ideologische Gefälle schaffen in jeder Gesellschaft, im Kleinen wie im Großen, Konflikte  und stark divergierende Tendenzen. So ist es von grundlegender Bedeutung den Dialog zwischen westlichen Regierungen und islamischen Gelehrten zu verstärken. Nicht die einflussreichen Meinungsführer des Islams, die sich häufig genug mit der ebenso unflexiblen katholischen Kirche reiben, müssen in den Dialog einbezogen werden. Es müssen den islamischen Gelehrten und Wissenschaftlern prominentere Plattformen geboten werden sich zu äußern und reformatorische Kräfte animieren und freisetzen zu können. Der Islam hat in seiner Geschichte bereits Wandlungen vollzogen und muss sich im natürlichen Fortschreiten der Geschichte auch weiterhin solchen Wandlungen stellen, um den Anschluss zur übrigen Welt und zur eigenen Gesellschaft zu halten. Dies schließt selbstverständlich ein Festhalten an dogmatischen Prinzipien nicht aus – dieses Recht nehmen sich ja auch die beiden anderen Abrahamitischen Religionen heraus.

So muss nun der öffentlichen Wahrnehmung des Islams als einem neuen ideologischen Gegenpol entgegen gesteuert und der Dialog gesucht werden – wohlgemerkt mit den westlichen Regierungen und nicht den christlichen Kirchen die hierzu zu ungelenk sind und kein direktes Interesse an einem schnellen Vorankommen haben. Auch in Afghanistan wird das Sich-Einlassen auf die dort vorherrschenden kulturellen und religiösen Hintergründe die einzige Möglichkeit sein, der Bevölkerung zu zeigen, dass man es dort ernst meint und sich nicht als Heilsbringer und Zivilisationsstifter sondern eher als Unterstützer und Partner versteht.

Zurzeit sind die Vereinigten Staaten jedoch aus nachvollziehbaren, nationalen Interessen eher auf der Suche nach ihren Katalaunischen Feldern, die die erhoffte Wendung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bringen sollen. Doch so „einfach“ wie im Jahr 451 n. Chr. wird es nicht werden und al-Qaida hat es bereits geschafft den Vereinigten Staaten zu zeigen, dass sie diese Wende allein in Afghanistan nicht erreichen werden. Schon schwelen neue Brandherde.

29. Januar 2010

Einleitende Worte


Bevor nun dieses noch junge Journal seinen Weg zu gehen beginnt, noch einige Worte zu meinen Absichten, die über die Kurzdarstellung der "Randnotiz" hinausgehen.

Wie zusammenfassend erläutert, werde ich hier zu Themenkomplexen und Ereignissen schreiben, die mir in meinem privaten als auch beruflichen Leben begegnen und mich derart interessieren, dass ich meine Meinung zu diesen Inhalten mitteilen möchte und ich sie für wert erachte die wertvolle Zeit derer, die sich die Mühe machen die Beiträge zu lesen, damit zu beanspruchen.

Die Themen werden sich wohl - sofern dies im Voraus gesagt werden kann - um die gute alte Politik, Geschichte, Rüstung und Verteidigung, Religion und Philosophie sowie allgemeine Dinge drehen.

Sofern es mir zeitlich möglich ist, werde ich Beiträge in deutscher und englischer Sparche veröffentlichen, weise jedoch bereits zu Anfang darauf hin, dass ich mich nicht den Zwängen einer festgelegten Veröffentlichungspflicht unterwerfen möchte und werde. Daher bitte ich um das Verständnis der Leser, sollte bis zum nächsten Beitrag doch mehr Zeit als erwartet verstreichen.

Ich wünsche den Lesern eine interessante Lektüre und bitte etwaigen Fehlern in den Beiträgen mit Milde zu begegnen. Ich weise auch direkt zu Beginn darauf hin, dass es mir ab und zu passiert ins Englische oder Französische abzugleiten. Im Fall von Zitaten werde ich mich jedoch bemühen eine sinngemäße Übersetzung anzubieten.

Hinweise, Anregungen und Meinungen zu den Beiträgen sind willkommen, unterliegen jedoch auch meiner bescheidenen Willkür auf dieser Seite.

Abschließend ein Zitat das den anspruchsvollen Wunsch für den zukünftigen Tenor dieses Journals in ebenso historische wie nachzueifernde Worte fasst:

„Bei diesem wie bei jedem anderen Thema spreche ich eine kräftige und verständliche Sprache. Ich gebe mich nicht mit Hinweisen und Andeutungen ab. Ich habe dafür mehrere Gründe: erstens, damit ich deutlich verstanden werde; zweitens, damit man einsehe, dass ich es in allem Ernst meine; und drittens, weil es eine Beleidigung der Wahrheit ist, wenn man die Lüge mit Nachsicht behandelt.“ – Thomas Paine