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23. Oktober 2014

Der Mann der Buddha ins Gesicht spuckte

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich wieder vermehrt mit dem Buddhismus und finde Antworten für mich, die ich zuvor nirgendwo anders finden konnte oder mir mühsam selber erarbeiten musste.

Nicht zuletzt wegen Geschichten wie der vom Mann der Buddha ins Gesicht spuckte - einer meiner Lieblingsgeschichten von Buddha - zieht es mich immer mehr zu dieser uralten und doch immer frischen, lebendigen und kraftvollen Geistesbewegung.

Selbst wenn man dem Buddhismus skeptisch gegenüber steht, lohnt es sich die Zeit zu nehmen, um sich diese Geschichte durch zu lesen. Sie enthält meiner Meinung nach die Essenz der Lehre Buddhas zum menschlichen Miteinander und sie öffnet die Tür zur zweiten Chance, die jeder von uns verdient hat. Denn sie packt das Übel an zwei Wurzeln: sie weist die Freiheit des scheinbar Beleidigten auf, Güte und Verständnis zu zeigen, und gleichzeitig die Möglichkeit des Beleidigenden, sein Fehlverhalten zu erkennen und sich zu ändern.

Die englischsprachige Quelle habe ich auf "The Mind Awakened" entdeckt. Für die deutschen Leser habe ich eine Übersetzung angefertigt, die ich im Folgenden zur Verfügung stelle. Viel Freude mit dieser Geschichte!


Der Mann der Buddha ins Gesicht spuckte

Der Buddha saß unter einem Baum und sprach mit seinen Schülern, als ein Mann kam und ihm ins Gesicht spuckte.

Er wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und fragte den Mann: "Was nun? Was möchtest Du als nächstes sagen?" Der Mann war etwas verwundert, da er nicht erwartet hatte, dass wenn man jemandem ins Gesicht spuckt, dieser fragen würde "Was nun?" Er hatte so etwas noch nie erlebt. Er hatte schon Menschen beleidigt, die daraufhin wütend wurden und auf seine Beleidigungen reagierten. Oder aber, wenn sie Feiglinge und Schwächlinge waren, lächelten sie und versuchten ihn zu bestechen. Doch Buddha war nicht wie einer von diesen; er war weder wütend oder in irgendeiner Form beleidigt, noch war er feige. Er sagte einfach nur ganz nüchtern "Was nun?" Es gab keine weitere Reaktion von ihm.

Doch Buddhas Schüler wurden wütend und reagierten ihrerseits. Sein vertrautester Schüler, Ananda, sagte: "Das ist zu viel. Wir können das nicht tolerieren. Er muss dafür bestraft werden, sonst wird jeder anfangen, solche Dinge zu tun!"

Buddha antwortete: "Bleib ruhig. Er hat mich nicht beleidigt, aber Du beleidigst mich. Er ist neu, ein Fremder. Er hat bestimmt von Leuten etwas über mich gehört, dass dieser Mann ein Ungläubiger sei, ein gefährlicher Mann, der Menschen von ihrem Weg abbringt, ein Revolutionär, der andere verdirbt. Und er hat wohlmöglich eine Vorstellung von mir, eine Ansicht über mich entwickelt. Er hat nicht mich bespuckt, sondern er hat seine Ansicht bespuckt. Er hat seine Vorstellung von mir bespuckt, denn er kennt mich überhaupt nicht. Wie also kann er mich bespuckt haben?"

"Wenn du intensiv darüber nachdenkst," sagte Buddha, "so hat er seinen eigenen Geist bespuckt. Ich bin davon nicht betroffen, und ich kann sehen, dass dieser arme Mann noch etwas anderes zu sagen haben muss, denn dies ist eine Art und Weise etwas zu sagen. Es gibt Momente, in denen du spürst, dass Sprache ohnmächtig ist: in tiefer Liebe, in starker Wut, in Hass und im Gebet. Es gibt intensive Augenblicke in denen Sprache ohnmächtig ist. Wenn du wütend, sehr wütend bist, wenn du jemanden schlägst, wenn du jemanden bespuckst, dann sagst du etwas. Ich kann ihn verstehen. Er muss noch etwas weiteres zu sagen haben. Deshalb frage ich: 'Was nun?'"

Der Mann war noch verwunderter! Und Buddha sagte zu seinen Schülern: "Ich wurde vielmehr von euch beleidigt, denn ihr kennt mich, und ihr habt schon viele Jahre mit mir verbracht, und trotzdem reagiert ihr so."

Verwundert und durcheinander kehrte der Mann nach Hause zurück. Er konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Wenn man einen Buddha trifft, ist es schwierig oder sogar unmöglich so zu schlafen wie zuvor. Wieder und wieder wurde er von seinem Erlebnis verfolgt. Er konnte sich selber nicht erklären, was geschehen war. Er zitterte am ganzen Körper und schwitzte so sehr, dass er die Laken durchnässte. Er war noch nie einem solchen Mann begegnet; der Buddha hatte seinen gesamten Geist und sein ganzes Wesen erschüttert, seine gesamte Vergangenheit.

Am nächsten Morgen kehrte er zurück. Er warf sich zu Füßen Buddhas. Buddha fragte ihn erneut: "Was nun? Auch dies ist eine Art etwas zu sagen, das nicht mit Sprache ausgedrückt werden kann. Wenn du kommst und meine Füße berührst, sagst du etwas, das nicht auf gewöhnliche Weise gesagt werden kann, für das Worte zu eingeschränkt sind; es kann nicht von ihnen erfasst werden." Buddha sagte: "Siehe, Ananda, dieser Mann ist wieder hier, er sagt etwas. Dies ist ein Mann tiefempfundener Emotionen."

Der Mann sah Buddha an und sagte: "Vergib mir für das, was ich gestern getan habe." Buddha antwortete: "Vergeben? Aber ich bin nicht derselbe Mann, dem du das angetan hast. Der Ganges fließt immer weiter, es wird nie mehr derselbe Ganges sein. Jeder Mensch ist ein Fluss. Der Mann, den du bespuckt hast, ist nicht mehr hier. Ich sehe nur so aus wie er, aber ich bin nicht derselbe. Vieles ist in diesen vierundzwanzig Stunden geschehen! So viel Wasser ist den Fluss hinab geflossen. Daher kann ich dir nicht vergeben, denn ich hege keinen Groll gegen dich.

"Und auch du bist neu. Ich kann erkennen, dass du nicht derselbe Mann bist, der gestern da war. Denn dieser Mann war wütend und spuckte, wohingegen du dich zu meinen Füßen verbeugst und meine Füße berührst. Wie kannst du da derselbe Mann sein? Du bist nicht derselbe Mann, also lass' uns die Sache vergessen. Die beiden Menschen, derjenige der spuckte und derjenige den dieser anspuckte, beide sind nicht mehr. Komm' näher. Lass' uns über etwas anderes reden."

(Übersetzung von Nicolas von Kospoth)

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